Freudige Aufregung herrschte in Bayern noch vor einem Jahr: Der erste Bär seit 170 Jahren war auf dem Weg in Richtung Freistaat, und alle fieberten dem zotteligen Einwanderer entgegen.
Umweltminister Werner Schnappauf (CSU) sprach dem Bären ein herzliches Willkommen aus. "Wir wollen wirklich ein netter Gastgeber sein", hieß es im Ministerium. Am Wochenende des 20. und 21. Mai 2006 setzte der junge Bär aus dem italienischen Trentino tatsächlich seine Tatzen auf bayerischen Boden - und hinterließ gleich eine blutige Spur: Bei Dickelschwaig im Graswangtal bei Garmisch-Partenkirchen riss er drei Schafe, tags darauf, es war ein Sonntag, wurden bei Farchant vier weitere Tiere tot gefunden.
Insgesamt riss "JJ1" - Erstgeborener von Mutter Jurka und Vater Jose - an seinem ersten Wochenende im Freistaat elf Schafe und drang in einen Hühnerstall ein. Bereits am Montag verkündete Schnappauf, der Bär sei zu gefährlich, er müsse gefangen und notfalls abgeschossen werden. Für mehrere zehntausend Euro wurden finnische Bärenjäger mit Hunden eingeflogen, um "Bruno" - wie der Bär bald landauf landab genannt wurde - zu fangen. Nach zwei Wochen erfolgloser Jagd reisten die Finnen ab, und Bruno wurde erneut zum Abschuss freigegeben. Am 26. Juni erlegte ihn ein Jäger im Spitzingseegebiet.
Tierfreunde waren entrüstet über Schnappauf. Hatte der Minister doch noch vor Ankunft Brunos gesagt: "Der Braunbär ist in Bayern willkommen." Als "geradezu idealen" Lebensraum könne man ihm das Ammergebirge anbieten. Natürlich sei es möglich, dass ein Bär, von süßem Honig angelockt, einen Bienenstock plündere oder sich an einer Schafherde vergreife. Deshalb müssten Bürger, Jäger, Bauern und Imker informiert werden.
Doch Bruno plünderte nicht nur einen Bienenstock und vergriff sich nicht nur an einer Schafherde - er riss viele Schafe, stahl kiloweise Honig aus Bienenstöcken, vor allem aber lief er durch Wohngebiete, erschreckte Urlauber und hatte kaum Scheu vor Menschen. Denn von Mutter Jurka hatte er gelernt, dass es bei den Menschen reichlich Futter gibt - und dass man nicht erwischt wird, wenn man sich nicht ein zweites Mal am selben Ort blicken lässt.
Zeitweise schien der Bär die Behörden regelrecht an der Nase herumzuführen. Scheinbar seelenruhig rastete Bruno etwa in Kochel vor den Augen von Kneipengästen vor einer Polizeiwache - um sich aus dem Staub zu machen, bevor seine finnischen Verfolger anrückten. Immer wieder entwischte er. Noch kurz vor seinem Abschuss nahm er ein ausgedehntes Bad im Soinsee und ließ sich auch von Wanderern nicht stören.
Mit seinen Eskapaden wurde Bruno zum Medienstar des Sommers. Im Internet kursierten Solidaritäts-T-Shirts mit der Aufschrift "Mich kriegt ihr nie" oder "JJ Guevara". In Zeitungen war der zweijährige Streuner kein "Problembär", sondern ein "Schlaubär" oder gar "Braunbär Bruno Superstar". Ferienorte nutzten Bruno als Werbegag: Ein Hutmacher setzte einen mit Trachtenhut ausstaffierten Bären ins Schaufenster, Bäcker boten süße Bärentatzen an, und noch heute, ein Jahr nach Bruno, locken Schilder im Oberland mit "Bärenhonig".
Dass wieder ein Bär nach Bayern kommt, ist für die Experten nur eine Frage der Zeit. Die Vorfreude hat sich aber merklich abgekühlt. Dafür hat Bayern nun einen Bärenplan, der Entschädigungen vorsieht und den Umgang mit auffälligen Bären regelt - als allerletzte Maßnahme ist auch der Abschuss vorgesehen.
Brunos jüngere Geschwister JJ3, JJ4 und JJ5 leben noch bei Mutter Jurka in der italienschen Brenta. Während der weibliche Jungbär in der Region bleiben wird, könnten sich die beiden Männchen bald aufmachen, um ihr eigenes Revier zu suchen. "Es kann gleich passieren, es kann Spätsommer werden", sagt der Wild-Experte Alberto Stoffella, der das Ansiedlungsprogramm von Braunbären im Trentino betreut. "Höchstwahrscheinlich" aber werden die Jungbären noch dieses Jahr starten - vielleicht wieder Richtung Bayern.
Brunos Kadaver liegt unterdessen weiter an einem geheimen Ort in der Tiefkühltruhe. Schnappauf hatte bereits am Tag des Abschusses angekündigt, der Bär werde präpariert und in einem Museum ausgestellt. Wo, das ist bis heute offen. "Die Präparation wird vorbereitet", heißt es nun im Ministerium. "Die Gespräche laufen."
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