Hier schon mal Vorab die Rückrundenanalyse
Schalke wird Meister, Uwe Seeler rettet den HSV
Ab Freitag rollt in der Fußball-Bundesliga wieder der Ball. Kann Bayern München den Wintermeister Bremen noch abfangen? Bringt Marcelinho Wolfsburg in Stimmung? Wer steigt ab? Was wird aus Jürgen Klopp? Grau ist alle Theorie - WELT.de wagt für die Rückrunde eine Prognose in schillernden Farben.
Von Till Schwertfeger
18. Spieltag: Beim 3:3 gegen Bayern München holt Borussia Dortmund dank einer großartigen Energieleistung in der Schlussviertelstunde einen Zwei-Tore-Rückstand auf. Die Südkurve feiert „Waldlauf-Diktator“ Jürgen Röber, dessen Spieler kollektiv mit Rollkragenpullover unter dem Trikot aufgelaufen sind. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke („Ich bin für klare Verhältnisse“) verlängert Röbers Vertrag bis zum 30. Juni 2009.
19. Spieltag: Nach der Auftaktpleite in Bielefeld unterliegt der Hamburger SV auch gegen Energie Cottbus 1:2. Den Siegtreffer der Gäste erzielte der Ex-Hamburger Daniel Ziebig, nachdem Torhüter Frank Rost und Bastian Reinhardt mit den Köpfen zusammengestoßen waren. HSV-Präsident Bernd Hoffmann entlässt direkt nach dem Schlusspfiff Thomas Doll. Die demoralisierten Fans besetzen daraufhin in einer einmaligen Solidaritätsdemonstration für den beliebten Trainer die A7 und blockieren in Schockstarre den Abschnitt zwischen den Ausfahrten Volkspark und Stellingen. „Nichts geht mehr ohne Doll“ lautet die auf Bettlaken gesprayte Losung.
20. Spieltag: Einen Tag vor der Auswärtspartie in Berlin steigt nach fast einwöchigem Konklave weißer Rauch aus der Geschäftsstelle an der AOL-Arena auf. Als neuen Trainer präsentiert der HSV: Uwe Seeler. „Einer muss ja den Karren aus dem Dreck fahren“, sagt der 70-Jährige, der zur Verstärkung Gattin Ilka mitgebracht hat. „Sie ist für den Haushalt zuständig. Da kennt sie sich aus.“ Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer war wie Doll gekündigt worden. Als erste Amtshandlung bestimmt Seeler Vertragsamateur Volker Schmidt zum Mannschaftsführer: „Jetzt müssen echte Hamburger voranmarschieren.“ Das reicht erst mal zu einem 0:0 bei Hertha BSC.
21. Spieltag: Der erschreckend schwache Tabellenletzte Mainz 05 hat im Kellerduell gegen Cottbus nur 31 Prozent Ballbesitz und verliert 0:1. Der letzte Sieg der Schützlinge von Jürgen Klopp datiert vom 1. Spieltag, der Rückstand auf die Nicht-Abstiegsplätze beträgt nun elf Punkte. Doch im ausverkauften Bruchwegstadion überwiegt die Vorfreude auf Karneval. Klopp läuft eine Ehrenrunde und wirft Kamelle ins Publikum. Am Abend gibt er im „Aktuellen Sportstudio“ seinen Rücktritt bekannt - und bewirbt sich als Nachfolger Johannes B. Kerners. „Fernsehen ist sooo geil!“, ruft er ins Mikrofon und erntet dafür donnernden Applaus. In Mainz heuert Jörg Berger an: „Ich hab’ schon ganz andere Brände gelöscht.“
22. Spieltag: Bayern München gewinnt in Aachen sehr souverän 2:0. Alemannias Stürmer Jan Schlaudraff muss schon nach sieben Minuten verletzt vom Platz getragen werden, nachdem er mit Oliver Kahn im Strafraum zusammengeprallt ist. „Mit mir wäre Bayern Pokalsieger geworden“, geifert der Bayern-Torwart anschließend in jedes Mikrofon. Und: „Der Schlaudraff wird sich dran gewöhnen müssen, dass in München ein anderer Wind weht.“ Reservekeeper Michael Rensing wird sich daran gewöhnen müssen, zweite Wahl zu bleiben; denn Kahn verlängert seinen Vertrag um ein weiteres Jahr bis 2009.
23. Spieltag: Seit Uwe Seeler in Hamburg am Ruder ist, müssen die Spieler täglich zwei Stunden unter Anleitung Horst Hrubeschs am Kopfballpendel trainieren. Gegen Eintracht Frankfurt erntet die noch immer abstiegsbedrohte Mannschaft endlich Früchte. Beim 6:0 gelingen Mehdi Mahdavikia, David Jarolim, Raphael Wicky und Volker Schmidt alle Tore mit der Stirn, Vorbereiter ist jeweils der Kameruner Thimothee Atouba. Der dreifache Torschütze Schmidt beschreibt das Erfolgsrezept: „Timmy Bananenflanke, ich Kopf, Tor!“
24. Spieltag: Beim Tabellenzweiten Schalke 04 gewinnen die Hamburger sensationell 2:0. „Den haben wir schön das Maul gestopft“, sagt HSV-Schlussmann Frank Rost mit breitem Grinsen, als wisse er schon was kommt. Tatsächlich: Die Schalker Spieler verlassen die Veltins-Arena schweigend. Der zweite Presseboykott der Bundesliga-Geschichte beginnt, weil am Spieltag wieder Interna aus der Mannschaft in die „Bild“-Zeitung gelangt waren. Angeblich hatten sich die Brasilianer Rafinha und Lincoln vor dem Sieg in Wolfsburg (4:1) in der Kabine beim Kampf um eine Sambatrommel in die Haare bekommen. „Diesen Kindergarten muss ich nicht mehr kommentieren“, sagt der Ex-Schalker Rost.
25. Spieltag: Tabellenführer Werder Bremen ist mit fünf Punkten Vorsprung und viel Selbstvertrauen zum Spiel bei Titelverteidiger Bayern München gereist, und die Gäste spielen meisterlich. Nachdem Innenverteidiger Naldo mit einem Freistoß aus 45 Metern sein 13. Saisontreffer gelungen ist, scheinen die Bremer die Führung sicher über die Zeit retten zu können. Doch Mark van Bommel und Roy Makaay bestrafen zwei unfassbare Fehler Tim Wieses („Ich habe mein zweites Turin erlebt“). Das 2:1 der Bayern macht den Titelkampf wieder spannend. Uli Hoeneß erinnert an seine Worte von Anfang Dezember: „Der Nikolaus ist nicht der Osterhase.“ Wer der Pfingstochse ist, will von den niedergeschlagenen Bremern keiner mehr wissen.
26. Spieltag: Marcelinhos tägliche Ausflüge nach Berlin gehen Wolfsburgs Trainer Klaus Augenthaler zunehmend auf die Nerven. Doch nach seinem Hattrick beim 3:0 gegen den VfL Bochum hat der Brasilianer, der sich in den grün gefärbten Haarschopf das VW-Zeichen rasieren ließ, die Fans auf seiner Seite. Am Abend lädt er zur Einweihungsparty seines brasilianischen Tanzlokals „12 Zylinder Marcelinho“ in die Autostadt. Im VIP-Bereich amüsieren sich die früheren VW-Funktionäre Peter Hartz, Klaus Volkert und Klaus-Joachim Gebauer.
27. Spieltag: Ausgerechnet nach dem respektablen 1:1 gegen seinen Ex-Verein Hertha BSC tritt Nürnbergs Trainer Hans Meyer zurück. „Ich habe die Schnauze voll von den vielen Unentschieden. Diese jungen Spieler wissen einfach nicht, was sie wollen“, sagt Meyer genervt, für dessen Elf mittlerweile 18 Remis zu Buche stehen. Obwohl der „Club“ in der Rückrunde noch ohne Sieg ist, versucht Präsident Michael A. Roth den Trainer mit dem teuersten Teppich seines Unternehmens zum Bleiben zu bewegen, doch Meyer winkt ab: „Den würde ich nicht mal nehmen, wenn er fliegen könnte!“ Roth holt daraufhin einen Trainer, der immer wieder von alleine fliegt: Peter Neururer.
28. Spieltag: Hauptsponsor Gazprom sieht auf Schalke seinen Grundsatz „Tue Gutes und rede darüber“ verletzt: Eine Woche nach dem 1:0 in München deklassieren die Königsblauen den Abstiegskandidaten Mönchengladbach mit 5:1, übernehmen die Tabellenführung – und die Spieler schweigen noch immer. Aus Aberglauben hat die Schalker Vereinsführung mittlerweile Jiri Nemec (Spitzname: „Der Schweiger“) als Pressesprecher eingestellt. Gazprom ist genervt und überrascht den deutschen Fernsehmarkt mit Schalke TV. Unter anderem interviewt fortan Gerhard Schröder zweimal wöchentlich Rudi Assauer. Titel der beschwingten Talkshow: „Ich geb’ Gas, ich will Spaß!“
29. Spieltag: Tristesse in Bremen. Werder ist in eine tiefe Krise geraten. Miroslav Klose und Torsten Frings bestätigen, dass sie den Klub nach Saisonende verlassen. Juventus Turin, designierter Aufsteiger in die Serie A, zahlt für die deutschen Nationalspieler insgesamt 40 Millionen Euro Ablöse. Die gleiche Summe bietet Bayern München für Naldo und Diego. Der drohende Ausverkauf geht nicht spurlos an den Bremer Spielern vorbei. Beim Auswärtsspiel in Dortmund wird Per Mertesacker nach elf Minuten wegen wiederholten Foulspiels vom Platz gestellt. Der BVB gewinnt durch einen Hattrick von Nelson Valdez mit 3:0.
--------------------------------------------------------------------------------
30. Spieltag: Hannover 96 gewinnt 2:0 gegen Borussia Mönchengladbach. Gäste-Trainer Jupp Heynckes, sitzt 90 Minuten wie ohnmächtig auf der Trainerbank. Gladbachs Sportdirektor Peter Pander reagiert mit einem in der Bundesliga-Geschichte einzigartigen Rollentausch. Der Energie geladene Assistenztrainer Jos Luhukay übernimmt Heynckes’ Posten, der bisherige Cheftrainer wird zum Co degradiert. Zuvor hatten Zeitungen immer wieder Fotos veröffentlicht, auf denen Heynckes im Training Bälle aufpumpt und Hütchen aufstellt.
31. Spieltag: Stuttgarts Torwart Timo Hildebrand unterläuft beim 3:3 in Mönchengladbach der vierte schwere Patzer in der Rückrunde. Nach dem Spiel liest er in den Katakomben des Nordparks von einem Blatt Papier ab, dass er nichts für seine Fehler könne. Die „mediale Seite“ setze ihn unfairerweise unter Druck, seit feststeht, dass er den VfB am Saisonende verlässt. Die Stuttgarter rutschen aus den Uefa-Cup-Rängen. Trainer Armin Veh versucht die bislang so erfolgreich verlaufende Saison zu retten, indem er den 36-jährigen Dirk Heinen für die restlichen drei Saisonspiele zum Stammtorhüter bestimmt.
32. Spieltag: Nach dem 2:1 gegen Werder Bremen küsst Dieter Hoeneß den rechten Fuß von Hertha-Torjäger Marko Pantelic. Dem Serben, gegen den Berlins Manager wegen „fahrlässig lässigen Spiels“ eine zweiwöchige vereinsinterne Sperre ausgesprochen hatte, gelang das Kunststück, mit dem rechten Außenrist einen Eckball von links direkt zu verwandeln. „Ich habe nie an ihm gezweifelt. Marko steht in der langen Berliner Tradition exzellenter Stürmer“, sagt Hoeneß mit hochrotem Kopf. Im „Aktuellen Sportstudio“ trifft der Mainzer Mimoun Azaough beim Torwandschießen sechsmal. Moderator Jürgen Klopp setzt vor Begeisterung zur Ehrenrunde an und stolpert dabei über eine Kabeltrommel.
33. Spieltag: Das „Westfalen-Blatt“ hat erfahren, dass Bielefelds am Saisonende scheidender Trainer Thomas von Heesen („Ich konzentriere mich nur auf die Arminia, alles andere ist zweitrangig“) bereits am 24. Dezember 2006 einen ab 1. Juli 2007 gültigen Dreijahresvertrag bei Borussia Dortmund unterschrieben hat, und veröffentlicht das Schriftstück in seiner Samstag-Ausgabe. Das Dortmunder Publikum fordert deshalb während des Revierderbys gegen Schalke 04 90 Minuten lang mit ohrenbetäubendem Geschrei den Rauswurf von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, der seit Wochen Stimmung gegen Trainer Jürgen Röber macht, obwohl dieser die Borussia auf den fünften Tabellenplatz geführt hat. In dieser gespenstischen Atmosphäre geht fast unter, dass die Schalker durch den 2:1-Auswärtssieg erstmals nach 1958 wieder Deutscher Meister sind. Die Gelsenkirchener profitieren vom Punkteverlust der Bayern, die gegen Energie Cottbus nur 0:0 spielen.
34. Spieltag: Bayern München sichert sich durch das 5:0 gegen Mainz 05 die direkte Teilnahmeberechtigung an der Champions League, der Hinrundenerste Werder Bremen fällt durch das 2:2 in Wolfsburg auf den dritten Tabellenplatz zurück. Drunter und drüber vor Freude geht es auf Schalke: Im Superman-Kostüm schwebt Rudi Assauer mit dem Fallschirm aufs Spielfeld und macht seiner Lebensgefährtin Simone Thomalla einen Heiratsantrag („Muckelchen, möchtest du mich als super Mann?“). Die Antwort geht im Vereinslied: „Ein Leben lang, Blau und Weiß, ein Leben lang“ unter, das 60.000 Fans von den Rängen der ausverkauften Veltins-Arena schmettern. Nach dem 3:0 gegen schwache Bielefelder, die ohne Thomas von Heesen angereist sind, beendet Schalkes Meister-Kapitän Marcelo Bordon den Presseboykott mit der spektakulären Aussage: „Es war eine sehr interessante Saison.“ Hertha BSC und Bayer Leverkusen erreichen den Uefa-Cup. Absteigen müssen Mainz (trotz Jörg Berger), Gladbach (trotz Jos Luhukay) und Nürnberg (wegen Peter Neururer). Der Hamburger SV qualifiziert sich durch die sensationell erfolgreiche Rückrunde noch für den UI-Cup. „Meiner Meinung nach hätten wir da von Anfang an hingehört“, sagt Uwe Seeler zufrieden.
Artikel erschienen am 23.01.2007
http://www.welt.de/data/2007/01/23/1186819.html