Erinnerung an Amy Winehouse: "Sie war vor allem verletzlich"
Einer der schönsten Nachrufe auf Amy Winehouse stammt vom britischen Schauspieler Russell Brand. Er kannte sie, bevor sie berühmt wurde. Und er kannte ihre Sucht.
Amy Winehouse und Russell Brand bei einer Preisverleihung 2006: "Sie war süß, seltsam und vor allem verletzlich"© Dave Hogan/ Getty Images
Die einen sind einfach nur traurig und schockiert darüber, dass eine junge Frau von 27 Jahren am talentbedingten Erfolg zerbricht. Gefühlsärmere Menschen sagen, der Tod der Amy Winehouse sei nur eine Konsequenz ihres Lebens. Und dann gibt es wütende Zeitgenossen, die nach Schuldigen suchen. Die sagen, dass ihre Mitmenschen die Tragödie mehr interessiere als das Talent. Oder wie der britische PR-Agent Max Clifford es bereits vor drei Jahren formulierte: "Amy Winehouse mit Drogen ist ein größerer Star als Amy Winehouse ohne Drogen."
Das ist der Blick von außen, an dem wir alle uns abarbeiten, seitdem die Nachricht über den multimedialen Äther gejagt wurde, dass diese Sängerin gestorben ist, die Gefühlen eine Stimme gegeben hat wie kaum eine andere, die gleich mehrere Tonlagen für Schmerz beherrschte. Die wir aber trotz ihres Talents eher von Bildern und aus Filmchen kannten, die zeigten, wie sie hinter der Bühne aussah: kaputt.
Mit Russell Brand, dem britischen Stand-Up-Comedian und Schauspieler, den die große Masse wenn nicht ebenfalls für kaputt, so doch für komplett durchgeknallt hält, hat sich nun einer zu Wort gemeldet, der ein anderes Bild von Amy Winehouse zeichnen kann. Eines von innen, weil er sie schon kannte, als sie noch nicht berühmt war, und weil er damals genauso drogenabhängig war wie sie.
Vielleicht nicht kaputt, aber komplett durchgeknallt
"Wenn du jemandem liebst, der suchtkrank ist, wartest du auf den Anruf. Und der Anruf wird kommen. Du wünschst dir, dass der Süchtige selbst anruft, der dir sagt, dass er genug hat, dass er aufhören will, dass er etwas Neues ausprobieren will. Aber natürlich fürchtest du den anderen Anruf, das traurige, nächtliche Klingeln, nach dem ein Freund oder Verwandter dir sagt, dass es zu spät ist, dass sie tot ist. Frustrierenderweise ist das kein Anruf, den du machen kannst, du bekommst ihn. Es ist unmöglich einzugreifen." So beginnt der Nachruf auf Amy Winehouse, den Russell in seinem Blog und in der britischen Zeitung "The Guardian" veröffentlichte.
Dort erzählt der Ex-Junkie, wie er die noch unbekannte Winehouse getroffen habe, und das nicht, um sich wichtig zu machen, sondern um von seiner Ehrfurcht vor dieser Frau und ihrer Stimme zu berichten, deren Größe zu ihm durchgedrungen sei, trotz eigener permanenter Dauerumnebelung. Dass sie ebenfalls abhängig war, sei ihm egal gewesen. "Alle Süchtigen, egal welche Droge oder sozialer Status, teilen ein gleiches, offensichtliches Symptom: Sie sind nicht wirklich da, wenn du mit ihnen sprichst. (...) Oberste Priorität für jeden Süchtigen ist es, den Schmerz den Lebens zu betäuben."
Menschlich und göttlich
Winehouse sei "süß, seltsam, vor allem aber verletzlich" gewesen, so Brand weiter. Doch an dem Abend, als er sie zum ersten Mal singen hörte, habe er erkannt, dass sie genial war. Ihre "seltsam anmutige Stimme" schien nicht aus ihr selbst zu kommen, sondern von einem anderen Ort, "noch hinter Billie und Ella, von der Quelle aller Größe". Eine Stimme, die gleichzeitig menschlich und göttlich gewesen sei, die Ohren, Mund, Herz und Hirn der Zuhörer sofort öffnete.
Doch dann wurde er Zeuge, wie Winehouse zunehmend über ihre Sucht definiert wurde, anstatt über ihr künstlerische Größe. "Die zerstörerischen Beziehungen, die blutgetränkten Ballettschuhe, die abgebrochenen Konzerte" hätten ihr zeitloses Talent ersetzt.
Ein Anruf
"Sucht ist eine ernste Erkrankung", schreibt Brand. "Sie endet im Gefängnis, in der psychiatrischen Anstalt oder mit dem Tod." Auch Brand war 27, als er - mit Hilfe von Freunden - den Absprung schaffte. "Sonst wäre ich heute tot."
Der mittlerweile 36-jährige Gatte von Popstar Katy Perry wehrt sich gegen die Romantisierung dieses frühen Sterbens, das auch andere Künstler erfahren haben. "Es ist egal, ob diese Tragödie zu verhindern gewesen wäre oder nicht. Denn heute ist sie es nicht mehr. Wir haben eine schöne, talentierte Frau an diese Krankheit verloren. Nicht alle Süchtigen haben Amys unglaubliches Talent. Oder Kurts oder Jimis oder Janis'. Manche Menschen werden einfach nur abhängig. Alles, was wir tun können, ist, unsere Sichtweise dieses Zustandes zu überdenken." Sucht sei kein Verbrechen, so Brand, "und auch keine romantische Vorliebe. Es ist eine Krankheit, die tötet."
Und dann macht Brand klar, dass wir doch einen Anruf tätigen können: indem wir Hilfe suchen oder anbieten für "die Trinker und Junkies", die jeder von uns kennt. Hilfe, die Amy Winehouse nicht bekommen hat oder nicht wollte.Q.Stern.de