"Wir respektieren Google, aber wir sind besser"

Google mal als Underdog: In Russland stagniert der Marktanteil des US-Konzerns bei mickrigen 20 Prozent. Der Grund dafür heißt Yandex. Russlands beliebteste Suchmaschine hat einen Marktanteil von 65 Prozent, will weiter wachsen - und durchsucht nun auch das englischsprachige Web.


Ausgerechnet Angelwürmer und Walenki, russische Filzstiefel, sollen Google aus der Defensive bringen, endlich. Mit diesen Suchbegriffen und flotter Klaviermusik wirbt der amerikanische Netzgigant im russischen Fernsehen für sich selbst. Stets flimmern die Spots zur besten Sendezeit über den Bildschirm, gern greifen sie urrussische Mythen auf, den Angelausflug am Wochenende etwa oder die legendären Stiefel gegen Russlands grimmige Kälte. Während der Fußball-WM im Sommer buchte Google gar die besonders teuren Werbeblöcke während der Halbzeitpause der Partien. Und stets schlossen die Spots mit dem russischen Slogan: "Das Leben ist eine Suche."

Diese Erfahrung muss Google in Russland schon seit längerem machen. Vergeblich sucht das US-Unternehmen nach einem Weg, an seine Erfolge in anderen Ländern anzuknüpfen. Den Weltmarkt mag Google zu 70 Prozent beherrschen, in Russland aber stagniert der Konzern bei wenig mehr als 20 Prozent.

Das liegt an Managern wie Jelena Kolmanowskaja, einer der Gründerinnen des Suchmaschinen-Champions Yandex. Die Endvierzigerin mit den struppigen Haaren läuft durch das Großraumbüro des Unternehmens. Manche der rund 2000 Mitarbeiter von Yandex gehen barfuß ihrer Arbeit nach. Es gibt einen schallisolierten Musikraum mit Schlagzeug und mit E-Gitarre. Wer eine Pause braucht, kann hier ausspannen. Feste Arbeitszeiten gibt es nicht. Hauptsache, die Leistung stimmt.



Hängematten, Schalen mit frischem Obst und modernste, durch Wasserkapilaren gekühlte Wände sorgen für einen Hauch von Silicon Valley. Es ist ein Stück Kalifornien mitten im Stadtzentrum von Moskau.

Yandex hält in Russland 65 Prozent am Markt. 2009 legten die Russen bei Suchanfragen mehr als 90 Prozent zu. Weltweit wächst laut ComScore keine Suchmaschine schneller.

Die seltene Erfolgsgeschichte made in Russia begann 1997, dem Gründungsjahr von Yandex. Damals hatten gerade einmal 200.000 von rund 140 Millionen Russen Zugang zum World Wide Web. "Das ganze kyrillische Ru-Net umfasste vielleicht fünf Gigabyte - so viel, wie heute auf einen einzigen USB-Stick passt", erinnert sich Kolmanowskaja. "Die Browser aber verstanden meist nur Englisch, und Alta Vista konnte Russisch nicht von Bulgarisch unterscheiden."

Heute surfen rund 60 Millionen Menschen zwischen Kaliningrad und Wladiwostok regelmäßig im Internet, Tendenz stark steigend. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der russischen Internetnutzer um fast 15 Millionen gestiegen.

Ein Wachstumsmarkt, der nach wie vor auch Google reizt: Die Tücken der russischen Sprache haben die Amerikaner inzwischen in den Griff bekommen. Doch Yandex bleibt - auch wenn mancher User sich ab und an über "zu viel Reklame" beklagt - stets zwei Schritte voraus.

In einem der Büros hängt eine riesige Verkehrsampel an der Wand. Hier arbeiten die Macher von "Yandex Probki" - einem Staumelder, der in Echtzeit aktualisiert wird und in Moskau besonders beliebt ist.

Daneben verfügt das Unternehmen mit Yandex Maps über einen eigenen Kartendienst, integrierte U-Bahnkarte inklusive, ein exzellentes Wörterbuch sowie seit September über ein eigenes Musik-Streamingangebot.

"Wir hatten in der Sowjetunion die besten Mathematiker der Welt"

Die Basis für den Erfolg von Yandex wurde noch zu Sowjetzeiten gelegt - am Moskauer Staatlichen Institut für Öl und Gas. Dort studierten Arkadi Wolosch, Gründungsdirektor und seither Yandex-Chef, und seine Mitstreiter "angewandte Mathematik".

"Wir hatten in der Sowjetunion die besten Mathematiker der Welt", sagt Kolmanowskaja. "Zum Glück sind nicht alle nach der Wende in den Westen."

Heute sorgt Yandex selbst für einen steten Fluss an Nachwuchskräften: mit der hauseigenen "Schule für Datenanalyse" und einem Masterprogramm, betrieben gemeinsam mit einer Staatsuniversität. "Jeden einzelnen unserer Leute würde Google mit Kusshand nehmen", sagt Kolmanowskaja.

Yandex hegt selbst Pläne für eine Expansion. In Kasachstan, Weißrussland und der Ukraine hat die Firma eigene Dienste gestartet. Im Mai startete das Unternehmen gar seine englischsprachige Suche Yandex.com.

Im legendären Silicon Valley in den USA unterhalten die Russen bereits seit zwei Jahren ein eigenes Forschungslabor, dem zuletzt sogar Russlands Präsident Dmitrij Medwedew eine Visite abstattete. Der junge Staatschef, selbst gelegentlicher Blogger und aktiv bei Twitter, sieht im Web "die wichtigste Ressource" zur Modernisierung seines Landes und in Informationstechnologien einen "Schlüssel zur Entwicklung der Demokratie".

Für 2011 erwägt Yandex zudem einen Börsengang in New York, wie ein Unternehmenssprecher SPIEGEL ONLINE bestätigte.

Ob Yandex nicht dennoch fürchte, von Googles schierer Macht verdrängt zu werden? "Natürlich", antwortet Kolmanowskaja und lächelt maliziös. "Uns zittern die Knie, und das schon seit 13 Jahren."

Quelle: spiegel.de