Italien droht der Totalschaden
Donadoni der Sündenbock
Dem italienischen Fußball droht heute Abend ein historischer Totalschaden, noch nie ist ein Weltmeister in der EM-Vorrunde gescheitert. Der ganze Stiefel befindet sich deshalb derzeit im Ausnahmezustand.
Im römischen Trevi-Brunnen sind noch nie so viele Glücksmünzen gelandet wie in den letzten Tagen und es gibt sogar einen offiziellen Antrag aus der Politik im Falle des Ausscheidens den heutigen Tag zum Nationaltrauertag zu erklären. Es geht gegen Frankreich (20.45 Uhr) um mehr als das Erreichen des EM-Viertelfinals, es geht um das Schicksal einer ganzen Nation.
Größer als alles andere
"Ihr Deutschen könnt nicht nachvollziehen, was es bedeutet, wenn wir wirklich ausscheiden", erzählt Gianluca Gentinelli, der für die italienische Tageszeitung 'La Repubblica' schreibt. "Vergesst den Papst, vergesst 'la famiglia', die Squaddra Azzurra ist noch eine Nummer größer als alles andere in unserem Leben." Statistiker an der Uni Rom haben gar ausgerechnet, ein Ausscheiden würde einen volkswirtschaftlichen Schaden in Millionen Höhe nach sich ziehen, da eine Nation tagelang kaum arbeitsfähig wäre.
Bei der Frage nach dem Schuldigen für die nationale Krise sind sich die Italiener einig. "Roberto Donadoni glaubt die EM sei ein Strandspaziergang", schimpft Leo Riviera vom öffentlich-rechtlichen Sender RAI über den italienischen Teamchef und sein Kollege vom Sportmagazin 'Gazzetta dello Sport' ergänzt: "Donadoni ist ein unerfahrener, störrischer Trainer, der sich nicht getraut hat, das Team seit der WM zu erneuern."
Sündenbock Donadoni
Für Objektivität sind die italienischen Medien nicht bekannt, eher leben die täglichen Berichte von Emotionen und persönlichen Neigungen. Derzeit trifft Coach Donadoni die geballte Wut und Enttäuschung, er ist für sie der Prügelknabe für die miserablen Leistungen bei der EURO gegen die Niederlande und Rumänien. Ihn selbst trifft der Groll aber nur flüchtig.
Seitdem der 44-jährige vor fast 20 Jahren dem Tod von der Schippe gesprungen ist, kann ihn nicht mehr viel schocken. Im Belgrader Stadion verschluckte er seine Zunge, sackte auf dem Spielfeld zusammen und konnte nur durch das absichtliche Brechen seines Kiefers aus dem Reich der Toten zurückgeholt werden.
Kein Rückhalt im Team
"Seitdem nehme ich das Leben ein wenig lockerer", erzählt der tief gläubige Katholik, der sich gestern dann doch öffentlich wehrte. "Ich erwarte keine Rosen von euch" rief er den Journalisten zu, "aber ein bisschen mehr Respekt." Auf dem Papier ist der diplomierte Landvermesser jedoch augenscheinlich der falsche Trainer. Als unerfahrener Vereinstrainer vom durchschnittlichen AS Livorno übernahm er das Amt vom bejubelten Weltmeister-Coach Marcello Lippi.
"Er wusste, welche Bürde er mit dem Amt auf sich nimmt, aber ihm war der Ruhm und die Ehre wichtiger als der Erfolg unseres Nationalteams", sagt Gentinelli. Auch die Mannschaft soll schon lange nicht mehr hinter dem 'Comissario tecnico' stehen. Laut Insidern sollen mehrere SMS kursieren, in denen Spieler über den grauen Wolf herziehen.
Umbau gegen Frankreich
Grund dafür ist auch die Wankelmütigkeit des ehemaligen Milan-Profis. Im Schicksalsspiel gegen Vize-Weltmeister Frankreich will er die Mannschaft mal wieder umbauen. Für Simone Perrotta sollen Massimo Ambrosini oder Kämpfer Gennaro Gattuso ins Mittelfeld zurückkehren. Im Sturm scheint Antonio Cassano erstmals von Beginn an spielen zu dürfen.
Aber egal ob die Azzurri doch noch das Wunder von Zürich schaffen. Roberto Donadoni werden sie nicht mehr ins Herz schließen. Außer er wird Europameister, denn dann wird im verrückten Stiefelland selbst ein Typ wie der eitle Antiheld auf Händen getragen.
Quelle ZDF