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sunnyjonny
10.01.07, 19:50
TOURISMUS 2067 - Der Reiz der verbotenen Reisezone
Von Robert Brack

2067 ist Venedig versunken, Spanien eine Wüste, Rio für Europäer illegal - Reisen ist kein Vergnügen mehr.
Und frei schon gar nicht: Die EU reguliert den Tourismus rigide, verfolgt Schwarzurlauber.
Tagebuch eines Reisepolizisten.

Folgende Eintragungen über WGAN - Wireless Global Area Network:

13. Januar 2067
Die Frau hat es als Erste gemerkt.
Ihr Typ war ziemlich ahnungslos.
Der glaubte offenbar, wenn er im "Banana Beach Club" in Trinidad sitzt und den gefälschten Chip am Goldkettchen auf der nackten Brust baumeln lässt, während er seine Piña Colada süffelt, halten wir ihn für einen Amerikaner.
Falsch gedacht.

Amis trinken keinen Alkohol mehr, das ist bei denen zu Hause verboten, genauso wie Tabakgenuss und der Verzehr fetthaltiger Nahrungsmittel.
Auch im Ausland halten die sich meist daran.

Als wir sie dann ansprachen, glaubte der Typ, er könne uns mit ein paar tausend Transit-Euro bestechen.
Das Übliche halt.
Die Frau hat uns dann überrascht, indem sie sich selbst anbot.
Ich hab schon gemerkt, dass der Kollege mir kurz einen Blick zuwarf.

Wir haben ihnen die Chips abgenommen und sie aufs Zimmer geschickt.
Am nächsten Tag brachten wir sie dann ordnungsgemäß zum Frachtflughafen.

Dass sie in Frankfurt ankamen und erfroren waren, lag an der Schlamperei des Cargo-Charter-Dienstes.
Ich lehne jede Verantwortung ab, die beiden Personen waren aus unserer Obhut entlassen.
Ich kann nur allen Kollegen raten, sich von den Piloten den Passagierschein und die "Erklärung der Obhutsübernahme von zwangsweise rückzuführenden Personen" unterschreiben zu lassen.
Sonst müssen wir uns eines Tages noch vor Gericht verantworten.

25. Februar 2067
Es ist immer das Gleiche um diese Jahreszeit.
Die Menschen werden unruhig, und die Medien nutzen die Situation aus.
Ist ja nicht weiter schlimm, dass immer mehr virtuelle Reisebüros angeklickt werden.
Lass die Leute doch die Welt erkunden!
Im Net sieht alles sowieso besser aus als in Wirklichkeit.
Wer will schon wissen, was aus den Urlaubsorten der Vergangenheit geworden ist!
Venedig aus der Fischperspektive?
Moskau im ewigen Eis?
Sandburgen bauen auf Kairos Hauptstraßen?
Na, vielen Dank auch!
Aber wenn der Winter nicht zu Ende gehen will, wird aufgemuckt und gemurrt.
Reisefreiheit verlangt.

Was kann denn die Zentralregierung in Brüssel dafür, dass der Golfstrom seine Bahn verändert hat?

Es schneit bis Mitte Mai, na und?
Früher haben alle gejammert, dass es keinen Schnee mehr gibt.
Und jetzt wollen sie am liebsten nach Afrika.
Ha! Schon mal was von der Pest gehört?
Afrika jenseits des Diamanten-Distrikts ist geschlossen, Leute!
Wenn ihr die Schönheiten des Kontinents genießen wollt, dann stülpt euch den 3-D-Helm über und besucht www.secrets-of-africa.com, da könnt ihr sogar auf einem Elefanten reiten und einem Löwen den Kopf in den Rachen stecken.

Aber die Medien faseln von Reisefreiheit!

Freiheit, um die Wüste in Spanien zu durchqueren?
Da kommst du nicht mal mit einem Allrad-Antrieb durch!
Die Dünen von Valencia besichtigen?
Die haben die halbe Stadt verschüttet!
Aber uns anpissen, weil wir darauf achten, dass keiner verloren geht!
Glaubt mir, ich überlege mir zweimal, ob ich einen Sex-Touristen aus einer Aids-Absteige in Kambodscha raushole.
Der ist schon genug gestraft.
Der Obolus für das Eindringen in verbotene Reisezonen ist dann nur noch ein Scherz.

3. März 2067
Es ist eine echte Kampagne geworden.
Entweder die wissen nicht, was sie da tun, oder sie finden es witzig, ihr Publikum zu verarschen.
Könnte natürlich auch sein, dass bestimmte Interessen dahinter stehen - illegale Reiseveranstalter oder Ausländer.
Die Amerikaner glauben ja immer noch an Reisefreiheit und weigern sich, die europäischen "Gesetze zur Sicherung der Freizügigkeit" zu akzeptieren.
Wir haben inzwischen Beweise, dass die US-Tourismus-Konzerne gezielt europäische Schwarzreisende ansprechen.
Die fragen nicht nach Zonen-Pässen und EU-Travel-Privilegien.
Die schicken die Leute einfach in die Fremde, und wir müssen sie dann einsammeln.

Früher ließen ertappte Schwarztouristen die Köpfe hängen, wenn wir sie vom Pool in Dubai oder von der Kirschblüte auf Grönland weggeholt haben.
Die fühlten sich schuldig.
Die Kampagne der Zentralregierung hatte gefruchtet: "Bleibt in euren Reisezonen! Schont den Planeten! Reist bewusst!"

So übel sind unsere strukturierten Reiseangebote doch gar nicht:
Wer sich einen entsprechenden Pass leisten kann, darf mit etwas Glück auch mal nach Indien, China oder Neuseeland.
Wer will denn ernsthaft noch nach Süditalien?
Da kannst du ja gleich Abenteuerurlaub in einem Flüchtlingslager im Tschad machen!

Aber nun merken wir die Auswirkungen der "Kampagne für freies Reisen".
Neulich auf den Malediven stöberten wir zwei Pärchen auf, die glaubten, das Zelten am Strand unter Palmen sei auch ohne den Vier-Zonen-Exotik-Pass gestattet.
Als wir dann die Ausweise kontrollieren wollten, gingen die mit Knüppeln auf uns los!

12. April 2067
Sie haben die Kampagne abgewürgt, und das ist gut so.
Jetzt wird diskutiert, ob die Anwendung des "Gesetzes über die mediale Präsentation der ökologischen Entwicklung" auf den Bereich Reisejournalismus ausgeweitet werden soll.

Ich sitze in Rio de Janeiro und stelle fest, dass der Schwarztourismus zugenommen hat.
Neuerdings werden gefälschte US-Ausweise verteilt, die sich nach Ablauf der Reisefrist automatisch zerstören.

Was mich an diesen Schwarztouristen nervt, die in ihren Bananenröckchen mit dem Caipi in der Hand auf der Copacabana schunkeln, ist ihre Rücksichtslosigkeit.
Man möchte sie aufrütteln:
Seht ihr nicht, was ihr anrichtet?
Wisst ihr nicht, dass Flugbenzin rationiert ist?
Habt ihr eine Ahnung, wie teuer der Atomstrom ist, der die transkontinentalen Magnetschwebebahnen antreibt?

Wenn diese Egoisten wenigstens als blinde Passagiere auf den segelgetriebenen Containerschiffen oder in Fracht-Zeppelinen reisen würden.
Dann wäre der Schaden nicht so groß.

Aber sie wollen ja auf Teufel komm raus diese fliegenden Kerosin-Schleudern benutzen.
Oder sie beschaffen sich in den verbotenen Regionen wie Pakistan, Iran oder Birma und Thailand Autos, um "die nostalgischen Vorzüge des Individualverkehrs zu genießen", wie neulich ein blauäugiger Kommentator schrieb.
Das sind Benzin-Kutschen, Mann!
Nicht solche Öko-Kabinenroller, wie sie auf unseren Straßen hintereinander gekoppelt werden.

20. Mai 2067, Ortszeit: 23.05 Uhr
(Wireless-Tonprotokoll, Sonderauftrag im "Lesotho Raffles")

... ich sitze jetzt an der Bar.
Die beiden Verdächtigen schieben sich über die Tanzfläche.
Sie trägt ein mit kleinen goldenen Spiegeln appliziertes, eng anliegendes langes Kleid, er ein blau schimmerndes Sakko zur fluoreszierenden Stresemann-Hose.

... Seid ihr noch da?
Na, okay, wir können jetzt nicht alle quasseln.
Ihr hört auf mein Kommando! ...
Lasst euch noch nicht blicken!

... Frage mich ehrlich gesagt, ob dieser überstürzte Einsatz klug ist.
Die beiden da unter der Kristallkugel gehören immerhin einer Organisation an, die ganze Stadtverwaltungen und Provinzregierungen in der Tasche hat.
Wann habt ihr eigentlich das letzte Mal eine Aktion mit Waffengewalt durchgezogen?

... Schon gut, wir machen alles wie besprochen.
Aber noch mal: Wir müssen so schnell wie möglich zum Flughafen!
Niemand vom Sicherheitsdienst darf etwas merken.
Wir halten nicht an!
Lesotho ist feindliches Terrain ...
Ich möchte meinen Lebensabend nicht in der Diamantenmine verbringen!
Scheiße, bin ich nervös ...
Hat ja keinen Zweck, wir müssen.
Los jetzt!
Wir schnappen sie uns!

... He! Was soll das?
Ich hab euch doch ...
Was wollt ihr denn?
Da drüben sind die beiden!

... Scheiße, jetzt guckt mal, wie die grinsen, die haben doch was gemerkt.
Lass mich los!
Was?
Meine Waffe?
Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?
Scheiße, Kollege, du kannst mich doch nicht ... Ah!

(Abbruch der Übertragung)

Quelle (http://www.spiegel.de/reise/aktuell/0,1518,druck-458072,00.html)

Traum(a)hafte Vorstellungen... http://www.cosgan.de/images/more/bigs/a093.gif http://www.cosgan.de/images/more/bigs/c041.gif